
Um 1840 wurde das „Baunscheidtieren“ durch Zufall vom Erfinder und Feinmechanikermeister Carl Baunscheidt (1809 – 1873) entdeckt.
Es wird berichtet, dass Baunscheidt an einem Sommertag sehr unter seiner Gicht litt, besonders im rechten Arm und in der rechten Hand. Stechmücken stachen ihn in die kranke Hand und Baunscheidt stellte erstaunt fest, dass diese Stiche ihm letztlich Linderung von seinen Schmerzen brachten.
Kurze Zeit später lernte er einen Missionar kennen, der – gerade aus dem Fernen Osten zurückgekehrt – Baunscheidt über die Methode der Akupunktur erzählte.


Carl Baunscheidt versuchte gedanklich Parallelen zwischen den Mückenstichen verbunden mit der Linderung seiner Schmerzen und dem Erfahrungsbericht des Missionars über Akupunktur zu ziehen und erfand in der Folge den „Lebenswecker“, früher auch „Dermatobioticon“ (griech. „Hautbeleber“) genannt.
Der heute auch gern genutzte oder „Vitralisator“, eine für größere Flächen nutzbare Nadelwalze oder Nadelrolle mit Handgriff entstand erst später. Ähnliches gilt für die so genannten „Schwinghämmerchen“.
Um den Sticheffekt drastisch zu erhöhen, nutzte Carl Baunscheidt ein spezielles Öl, das der Wirkung des Mückensekrets ähnlich sein sollte.
Diese spezielle Öl-Mischung hat Baunscheidt aber nie in Gänze veröffentlicht. Man vermutet, dass eines der Hauptbestandteile Croton-Öl war. Dieses Öl gilt als starkes Abführmittel, wird aber heute aufgrund des in ihm auch enthaltenen Porbolesthers und dessen erheblichen Krebsförderfaktoren in der Humanmedizin nicht mehr eingesetzt.
Moderne Baunscheidt-Öle beinhalten im wesentlichen Histamine und reizende ätherische Öle.
Anwendung
Als erstes wird der behandelnde Arzt oder Heilpraktiker über die Vorgehensweise und Wirkung dieser Therapie aufklären.
Dann wird die entsprechende Hautstelle desinfiziert und bei starkem Haarwuchs vorher rasiert.
Anschließend erfolgt der Einsatz des oben beschriebenen Geräts.
Das Gerät enthält eine per Feder vorschnellbare Scheibe, auf der wiederum viele feine Nadeln sitzen, die per Handgriff leicht und oberflächlich, etwa 1–2 mm tief in die Oberhaut eingeschnellt werden können.
Bei diesem Reizvorgang wird die Hautoberfläche leicht angeritzt (gestichelt). Die so behandelte Stelle wird dann zur Steigerung des Effekts mit einem speziellen Öl oder einer Paste eingerieben und falls nötig verbunden.
Das Verfahren eignet sich auch gut dazu, mit anderen Therapien wie Schröpfen, Massage, Osteopathie oder Akupunktur kombiniert zu werden.
Das Baunscheidtieren erlebte zur Zeit seiner Entstehung einen wahren Boom, wird jedoch heute von Ärzten nur noch selten und von Heilpraktikern ebenfalls nicht mehr oft angeboten.
Wie viele andere alternative Therapieformen, gilt auch das Baunscheidtieren in wissenschaftlichen Kreisen als umstritten bis unwirksam. Das gleiche gilt jedoch auch für die immer wieder ebenso bewiesene wie umstrittene in ihrer Wirkweise nicht unähnliche Akupunktur.
Indikation
Die Technik findet u.a. traditionell Anwendung bei:
- Durchblutungsstörungen
- Muskelverspannungen
- Infektneigung
- neuralgische Beschwerden
- Gelenkerkrankungen
- rheumatische Leiden (z.B. Weichteilrheuma)
- Gicht
- Arthrose
- Magen-Darm-Erkrankungen
- Migräne
- HNO-Erkrankungen (Hals, Nasen, Ohren)
- Tinnitus (Ohrgeräusche)
- Frauenleiden
- Asthma
Beachten
KEINE Anwendung bei folgenden Indikationen:
- Krankheiten aus dem allergischen Bereich
- Autoaggressionskrankheiten
- akutes Fieber
- nicht direkt über Entzündungen
Zurückhaltung ist auch an den Beinen angebracht – wenn überhaupt darf nur lokal an den Waden baunscheidtiert werden – starke Entzündung und selten auch toxische Reaktionen sind möglich.
Ebenfalls darf das reizende Öl nicht in die Nähe der Augen oder von Schleimhäuten gelangen.
Gegenanzeigen
Grundsätzlich sollte eine solche Behandlung nur von einem erfahrenen Heilpraktiker bzw. Arzt durchgeführt werden.
Lassen Sie sich vor dieser Behandlung gründlich aufklären!
Nebenwirkungen können sein: Juckreiz bis hin zu Schmerzen oder starken Begleitreaktionen, allergische Reaktionen auf die Inhaltsstoffe des Öls/der Paste. Bei richtiger Anwendung kommt es normalerweise nicht zur Narbenbildung. In seltenen Fällen können Pigmentflecken etwa ein halbes Jahr vorhalten. Je nach Konstitution, Umfang und Anwendungsintensität können auch Müdigkeit und Fieber auftreten.